Peter Gross
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Peter Gross

Wie sieht für Sie die ideale Gesellschaft aus?

Fast bin ich versucht zu sagen, sie sieht nach nichts aus. Keine gleißende Fläche - irgendwo in der Zukunft -, keine Utopie, kein Schlaraffenland, in dem einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, kein Paradies, keine flauschigen Wolkenland-schaften. Die ideale Gesellschaft oder das ideale Sein ist erreicht, wenn man das Menschengemäße akzeptiert. Keine übermenschliche, sondern eine menschliche Angelegenheit. Ein Sein, in dem der Mensch weiterhin ein ruheloses Schwebewesen ist, oszillierend zwischen einem Hier und einem Dort. Ausgespannt zwischen Realität und Phantasie, und darum im Wechsel leidend und sich freuend.


Wollen Sie die Gesellschaft verändern?

Es wäre borniert zu sagen, sie solle so bleiben, wie sie ist. Dass die Gesellschaft das ist, was wir aus ihr machen, steht ebenso wenig in Frage wie die Tatsache, dass der Mensch das ist, was er aus sich macht. Er muss allerdings lernen, dass er nicht alles aus sich machen kann und dass andere Menschen, die nichts aus sich machen, seine Hilfe brauchen. Jedenfalls sind Selbsterkenntnis und Selbstveränderung die zeitgemäßen Mittel der Gesellschafts- und Weltveränderung. Die Übel dieser Welt werden zu häufig der Gesellschaft angelastet. Dementsprechend stehen Welt-themen, Weltmaßstäbe, Welterfolge und Welthilflosigkeiten im Vordergrund der meisten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Eine prinzipielle Vorgehensweise, wie die Gesellschaft verändert werden kann, gibt es freilich nicht. Wir können allenfalls Sichtweisen, Paradigmen und Schieflagen korrigieren. Wenn alle auf der einen Seite eines Bootes Platz nehmen, kentert es. In diesem Sinne heißt Veränderung der Gesellschaft Selbstbewegung, Selbstveränderung. Man muss über sich nachdenken, sich achten, akzeptieren, besänftigen und korrigieren.


Wie sieht die Gesellschaft von morgen aus?

Nichts ist, um Niklas Luhmann zu paraphrasieren, so gewiss wie die Ungewissheit der Zukunft. Es ist, da es mehr autonome Akteure als je zuvor gibt, auch schwieriger, die Gesellschaft von morgen vorauszusagen. Je individualisierter eine Gesellschaft ist, je mehr der Einzelne selber entscheiden kann, desto unsicherer wird sie. Sogar ich werde mir in einer erstaunlichen Weise unberechenbar. So weiß ich noch nicht einmal, was ich heute Mittag esse und am Nachmittag, wenn ich mich an meinen Arbeitsplatz begebe, anziehe. Offene, freiheitliche Gesellschaften sind Operations-räume der Autonomie und werden dadurch ungewisser. Das zumindest ist gewiss. Also heißt die Frage für mich nicht, wie die Gesellschaft von morgen aussieht, sondern wie man sich für eine ungewisse Zukunft zeitgemäß wappnen und rüsten kann.

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